Außerordentliche Kündigung wegen Verlust des Vertriebsrechtes

Außerordentliche Kündigung wegen Verlust des Vertriebsrechtes

Ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund ist anzunehmen, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Handelsvertretervertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist.

Der wichtige Grund kann dabei, auch wenn der Prinzipal den Handelsvertretervertrag kündigt, aus der Sphäre des Prinzipals stammen. Selbst wenn ein wichtiger Kündigungsgrund anzuerkennen ist, kann der Prinzipal jedoch nach Treu und Glauben ausnahmsweise zur Einhaltung einer angemessenen Übergangsfrist, die nicht der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechen muss, verpflichtet sein.

Der Verlust des eigenen Vertriebsrechtes des Prinzipals aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung seiner Konzernmutter, die bislang vertriebene Marke zu verkaufen, kann einen derartigen wichtigen Kündigungsgrund darstellen, der den Prinzipal zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Handelsvertreter berechtigt.

OLG München, Beschluss vom 26. Oktober 2020 – 7 U 4016/20

Zutreffend hat das Landgericht eine Beendigung des (Unter- )Handelsvertreterverhältnisses zwischen den Parteien aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten angenommen. Das Landgericht konnte zu Recht davon ausgehen, dass die Beklagte die Vertriebsrechte für Produkte der Marke R. verloren hat.

Dafür spricht, dass der Kläger in Erwiderung auf die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2018 selbst mitteilen ließ, dass die Beklagte „die Entscheidung, sich von der Marke ‚R.‘ zu trennen, bereits vor längerer Zeit getroffen habe(..)“. Er räumt damit ein, dass der von der Beklagten in der Kündigung behauptete Anlass zur Kündigung, nämlich der Verlust der Vertriebsrechte für die Marke „R.“, zutreffe. Dafür spricht auch der von der Beklagten vorgelegte Ausdruck der Seite Sportbusiness vom 05.10.2018 aus der Internetseite www….com vom 12.03.2020, in der unter der Überschrift „The R.p. Group kauft R. – VF Corporation trennt sich von Surf-Marke R.“ ausgeführt wird, dass R. seinen Besitzer wechsle und von nun an ein Unternehmen der US-amerikanischen R.p. Group sei.

Das Landgericht hat auch zu Recht eine Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden (Unter)Vertriebsverhältnis mit Ablauf des 31.08.2019 aufgrund der außerordentlichen Kündigung vom 27.06.2019 angenommen, da ein wichtiger Grund iSd. § 89a Abs. 1 HGB vorlag. Ein solcher ist anzunehmen, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Handelsvertretervertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, die im streitgegenständlichen Fall aufgrund der elfjährigen Laufzeit des Handelsvertretervertrages gemäß § 89 Abs. 1 S. 2 HGB sechs Monate beträgt, nicht zuzumuten ist. Der wichtige Grund kann dabei, auch wenn der Prinzipal den Handelsvertretervertrag kündigt, aus der Sphäre des Prinzipals stammen. Selbst wenn ein wichtiger Kündigungsgrund anzuerkennen ist, kann der Prinzipal jedoch nach Treu und Glauben ausnahmsweise zur Einhaltung einer angemessenen Übergangsfrist, die nicht der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechen muss, verpflichtet sein.

Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die Interessen der Beklagten diejenigen des Klägers, weil die Beklagte mit Ablauf des 31.08.2019 aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung ihrer Konzernmutter keine Vertriebsrechte an Produkten der Marke R. mehr besaß und eine weitere Vertriebstätigkeit daher schon von vorneherein ausscheidet. Der Beklagten ist es daher nicht zuzumuten, über das Ende ihrer eigenen Vertriebstätigkeit hinaus noch (Bezirks-)Provisionen an den Kläger zahlen zu müssen. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Kündigung vom 27.06.2019 mit einer Auslauffrist bis zum Ablauf des 31.08.2019 und damit von mehr als zwei Monaten erfolgte, sodass der Kläger insoweit in die Lage versetzt wurde, mit dem Aufbau einer alternativen Geschäftstätigkeit zumindest zu beginnen. Der „Übergangszeitraum“ war faktisch aber sogar noch mehr als drei Wochen länger, da die Beklagte dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung vom 27.06.2019 mit Schreiben vom 04.06.2020 ein Angebot unterbreitete, den mit der Beklagten bestehenden Handelsvertretervertrag auf die R. Lifestyle LLC, die den Vertrieb der Marke R. ab 01.09.2019 übernahm, überzuleiten.

Auch die Frage, ob die unternehmerische Entscheidung der Konzernmutter der Beklagten, die Produktlinie „R.“ einem nicht zum Konzernverbund gehörenden Drittunternehmen zu übertragen, „erforderlich und sinnhaft“ war, spielt für die Abwägung keine Rolle. Denn auch der BGH überprüfte in seinem Urteil vom 30.01.1986 – Az. I ZR 185/83 die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses nicht am Maßstab der „Erforderlichkeit und Sinnhaftigkeit“ der Betriebsumstrukturierung durch die Prinzipalin.

Dem vom Senat gefundenen Abwägungsergebnis widerspricht auch nicht das von den Parteien in Bezug genommene Urteil des BGH vom 30.01.1986 – Az. I ZR 185/83, da sich der dortige Sachverhalt in entscheidungserheblicher Weise vom streitgegenständlichen unterscheidet. Denn im Fall des BGH stand die Möglichkeit einer Betriebsumstrukturierung seit Jahren im Raum, hatten die Parteien für diesen Fall sogar ausdrücklich eine ordentliche Kündigungsfrist vereinbart und führte die Prinzipalin den Handelsvertretervertrag mit dem Handelsvertreter trotzdem über Jahre hinweg weiter. Darüber hinaus betrug die Auslauffrist im Fall des BGH nur zwei Wochen und führte die Prinzipalin ihren Herstellungsbetrieb, wenn auch eingeschränkt, fort.

Im streitgegenständlichen Fall stand die Möglichkeit der Übertragung der Marke von der Konzernmutter der Beklagten auf The R.p. Group, ein Drittunternehmen, und nicht – wie im Fall des BGH – ein Konzernunternehmen der Prinzipalin dagegen nicht schon jahrelang im Raum. Ausweislich eines Kundenanschreibens schlossen die Konzernmutter der Beklagten und The R.p. Group die Übertragungsvereinbarung Ende Oktober 2018. Das Wirksam werden dieser Übertragungsvereinbarung, die von der Konzernmutter der Beklagten und nicht von der Beklagten geschlossen wurde, hing aber noch von „various regulatory approvals and other customary conditions that must be finalized before the sale is completed“ ab, sodass der Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Übertragung an den Kläger mit Schreiben der Beklagten vom 04.06.2020 nur noch wenige Monate betrug. Darüber hinaus hätte die Prinzipalin im Fall des BGH zumindest für eine Übergangszeit den Vertrieb unter Einschaltung des bisherigen Handelsvertreters auch noch fortführen können, da sie auch die Herstellung fortführte. Im streitgegenständlichen Fall endeten die Vertriebsrechte der Beklagten dagegen mit Ablauf des 31.08.2019 vollständig, sodass ein weiterer Untervertrieb durch den Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen sechsmonatigen Kündigungsfrist schon nicht möglich war. Schließlich erfolgte die außerordentliche Kündigung im Fall des BGH auch nur mit einer zweiwöchigen und nicht wie streitgegenständlich mit einer zweimonatigen Auslauffrist.

Nach alledem endete das streitgegenständliche Handelsvertreterverhältnis aufgrund der außerordentlichen Kündigung vom 27.06.2019 mit Ablauf des 31.08.2019. Dadurch wird auch nicht die ordentliche sechsmonatige Kündigungsfrist des § 89 Abs. 1 S. 2 HGB in unzulässiger Weise verkürzt. Denn bei der Kündigung handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung iSd. § 89a Abs. 1 HGB, die auch ausdrücklich als solche bezeichnet wurde, sodass die ordentliche Kündigungsfrist nicht eingehalten werden musste. Die Tatsache, dass die Kündigung eine Auslauffrist enthielt, ändert an ihrem Charakter als außerordentlicher Kündigung nichts.

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    Vertragsunterschrift

    Ausschluss des Handelsvertreterausgleichs auch bei Überschreitung der angemessenen Überlegungszeit durch den Unternehmer

    Ausschluss des Handelsvertreterausgleichs auch bei Überschreitung der angemessenen Überlegungszeit durch den Unternehmer

    Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ist ausgeschlossen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis kündigt und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorliegt. Ob der Unternehmer dabei auch die formalen Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung einhält (hier: Wahrung angemessener Überlegungszeit), ist für den Handelsvertreterausgleich jedenfalls dann unerheblich, wenn eine Kündigung durch den Unternehmer ausgesprochen worden und die Beendigung des Handelsvertretervertrages als solche unstreitig ist. Der Handelsvertreter hatte das Vertragsverhältnis nach Kündigung durch den Unternehmer seinerseits selbst gekündigt, ohne dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hatte. Denn die fristlose Kündigung des Unternehmers erfolgte mit hinreichendem Grund – nämlich wegen einer Tätigkeit der Ehefrau des Handelsvertreters für die Hauptkonkurrentin des Unternehmers.
    Kammergericht Berlin, Beschluss vom 22. Februar 2021 – 2 U 13/18

    Der Ausgleichsanspruch ist entfallen, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften Verhaltens des klagenden Handelsvertreters aus wichtigem Grund gekündigt hat. Der Kläger hat pflichtwidrig und schuldhaft die Beklagte nicht zu dem Zeitpunkt des Feststehens der zukünftigen Tätigkeit seiner Ehefrau für die Hauptkonkurrentin X. darüber informiert, dass für X. im nämlichen Postleitzahlenbereich ab dem 1. April 2016 eine Person tätig werden würde, mit der er verheiratet ist und zusammenlebt und die zudem bis zum 31. März 2015 Vertriebsleiterin der Beklagten war.
    Dass die Beklagte ihre schärfste Konkurrentin beobachtete, liegt auf der Hand. Dies gilt umso mehr, als im Frühjahr 2016 praktisch der gesamte Handelsvertreterbestand der X. neu zu besetzen war. In einer solchen Situation liegt es nicht fern, Mitarbeiter von konkurrierenden Wettbewerbern mit günstigen Konditionen zu einem Wechsel zu bewegen. Die Beklagte hatte zudem bereits den Weggang von vier ihrer umsatzstärksten Handelsvertreter zu X. hinnehmen müssen. Es war für sie daher naheliegenderweise schon unabhängig von der Person des Klägers und seiner Ehefrau von Interesse, wer in einem bestimmten Gebiet die Handelsvertretung für X. übernahm. Erst recht musste für sie von dringendem Interesse sein, wenn eine einem der verbleibenden Handelsvertreter als Ehegatte nahestehende und zudem bis in das Jahr 2015 als Vertriebsleiter für die Beklagte tätig gewesene Person Handelsvertreterin bei der Konkurrentin X. wurde.

    Weiterhin konnte die Beklagte die von ihr ausgesprochene Kündigung des Handelsvertretervertrages darauf stützen, dass eine Handelsvertreterin der Hauptkonkurrentin X., die zudem den nämlichen Postleitzahlenbezirk betreute, Zugang zu den in der Ehewohnung belegenen Betriebsräumlichkeiten des Klägers hatte. Denn der Handelsvertreter hat grundsätzlich über alle Umstände Stillschweigen zu bewahren, deren Weitergabe bzw. Veröffentlichung für den Unternehmer nachteilig sein könnte. Die Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten war aber schwerlich gewährleistet, wenn der Kläger seine Handelsvertretergeschäfte von der privaten Adresse der Eheleute aus führte, unter der er gemeinsam mit der Ehefrau lebte.

    Eine Abmahnung ist im hier maßgeblichen Vertrauensbereich entbehrlich, wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch nicht durch eine erfolgreiche Abmahnung wiederhergestellt werden könnte. Das Vorliegen letzterer Voraussetzungen im Streitfall hat das Landgericht ebenfalls zu Recht angenommen.
    Bei dieser Sachlage steht dem Verlust des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB auch nicht entgegen, dass die Kündigung der Beklagten erst nach Verstreichen einer angemessenen Überlegungszeit ausgesprochen worden wäre. Die dahingehenden Einwendungen der Berufung übersehen, dass der Tatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB lediglich voraussetzt, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Ob neben dem Vorliegen eines wichtigen Grundes aber auch die formalen Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung in der Sache eingehalten waren, kann keine Rolle spielen, wenn eine Kündigung durch den Unternehmer ausgebracht worden und die Beendigung des Handelsvertretervertrages als solche – wie vorliegend – außer Streit ist.

    Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte die angemessene Überlegungszeit gewahrt hätte. Denn die Kündigung eines Handelsvertretervertrages aus wichtigem Grund muss nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt werden. Vielmehr ist dem zur Kündigung Berechtigten eine angemessene Überlegungszeit zuzugestehen, deren Dauer sich nach den Gesamtumständen des jeweiligen Falles richtet. Sie ist regelmäßig kürzer als zwei Monate, denn ein zweimonatiges Zuwarten kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen angesehen werden, weil es darauf hindeutet, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis selbst nicht als so schwerwiegend empfunden hat, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem anderen Teil bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar ist. Hiernach erlischt das Kündigungsrecht schon nicht starr spätestens zwei Monaten nach dem Ereignis. Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen und nachzuvollziehen, ob die zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnis des wichtigen Grundes und dem Ausspruch der Kündigung verstrichene Zeit angemessen war, um den Sachverhalt aufzuklären, aber auch dem Kündigenden genügend Überlegungszeit einzuräumen.
    Nach diesem Maßstab hat die Beklagte gemäß den besonderen Umständen des hiesigen Einzelfalls eine angemessene Überlegungszeit gewahrt. Allerdings beginnt die Zeitspanne nicht erst mit sicherer Kenntnis des Vertragsverstoßes. Die angeführte Rechtsprechung

    gewährt die angemessene Zeitspanne vielmehr zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen. Soweit ein zweimonatiges Zuwarten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel nicht mehr angemessen ist, gilt dies nicht, wenn die lange Dauer ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände erklärlich ist; hierbei können Inhalt und Tragweite der festgestellten Pflichtverletzungen, die dem Handelsvertreter angelastet werden, berücksichtigt werden. Zu solchen besonderen Umständen zählt hier einerseits die Anhörung des Klägers durch die Beklagte, wobei zusätzlich dessen verzögernde Reaktion zu berücksichtigen ist. Obwohl ihm eine angemessene Erklärungsfrist gesetzt war, antwortete der Kläger erst 10 Tage später.
    Zum anderen hatte sich die Anhörung auf nicht weniger als acht verschiedene Punkte bezogen und wurde die Kündigung letztlich auf sechs Kündigungsgründe gestützt, zu denen jeweils Feststellungen zu treffen waren, wollte die Beklagte nach Abgang von vier ihrer umsatzstärksten Handelsvertreter nicht auch noch das Verhältnis zu dem als Handelsvertreter bei ihr verbliebenen Kläger ohne triftigen Grund belasten. Die Vorwürfe waren nach der Vorgeschichte der Parteien von erheblicher Tragweite. Zugleich waren die Antworten des Klägers in seinem Anwaltsschreiben in Teilen irreführend gewesen. Bei dieser Sachlage konnte der Kläger nicht verlangen, dass die Beklagte eine risikobehaftete Verdachtskündigung erkläre, die leicht zu Fall hätte gebracht werden können.
    Der Klageanspruch ist darüber hinaus nach § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB entfallen, da die zuvor ausgesprochene fristlose Kündigung der Beklagten begründet war. Eine Kündigung ohne hinreichenden Anlass läge im Übrigen angesichts der gewichtigen Kündigungsgründe selbst dann nicht vor, wenn sie die angemessene Überlegungszeit entgegen den vorstehenden Ausführungen um wenige Tage überschritten haben sollte. Ein Überschreiten des Regelzeitraums kann zwar darauf hindeuten, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis selbst nicht als so schwerwiegend empfunden hatte, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem anderen Teil bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar ist. Einen dahingehenden Bedeutungsgehalt hätte der Kläger einer Überschreitung der regelhaft angemessenen Überlegungszeit um wenige Tage nicht beimessen dürfen. Ihm war bekannt, welche weitreichenden Entscheidungen die Beklagte infolge des Wegganges der vier umsatzstärksten Handelsvertreter zu einer unmittelbaren Wettbewerberin zu treffen hatte. Auch angesichts des erheblichen Verstoßes des Klägers gegen die von ihm übernommene Interessenwahrung und des damit verbundenen, erheblichen Vertrauensverlustes bei der Beklagten konnte der Kläger allein angesichts der hier im Raume stehenden Verzögerung nicht annehmen, dass die Beklagte eine weitere Zusammenarbeit mit ihm für zumutbar erachte und deswegen eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht aussprechen werde.

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      Vertriebsunternehmen

      Ausgleichsanspruch trotz fristloser Kündigung

      Ausgleichsanspruch trotz fristloser Kündigung

      Die richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB verlangt, dass der Ausgleichsanspruch infolge einer fristlosen Kündigung durch das vertretene Unternehmen nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht. Die Kündigung muss daher tatsächlich auf den wichtigen Grund gestützt worden sein. Wichtige Kündigungsgründe konnte der Unternehmer daher im entschiedenen Fall auch nicht nachschieben.

      OLG Köln, Beschluss vom 01. März 2021 – 19 U 148/20

      Der Ausgleichsanspruch des Klägers ist nicht gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 HGB, § 80 InsO ausgeschlossen. Der Ausschlussgrund setzt voraus, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag.

      Ein wichtiger Grund im Sinne von § 89a Abs. 1 HGB liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Handelsvertretervertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden kann. Liegen Tatsachen vor, die generell geeignet sind, das Handelsvertreterverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes zu belasten, ist auf der zweiten Stufe im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen, ob die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses für den Kündigenden unzumutbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, zu berücksichtigen und die Interessen des Kündigenden an einer vorzeitigen Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses mit den Interessen des Gekündigten an dessen Fortsetzung abzuwägen.

      Außerdem verlangt die richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB, dass der Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht. Die Kündigung muss tatsächlich auf den wichtigen Grund gestützt werden. Der Unternehmer kann daher wichtige Kündigungsgründe nicht nachschieben.

      Betreffend die Verurteilung des Insolvenzschuldners wegen Steuerhinterziehung ist die Wertung des Landgerichts, dass sich diese nicht gegen die Beklagte richtete und deshalb keinen wichtigen Grund im vorbezeichneten Sinne darstellt, nicht zu beanstanden.

      Die Beklagte war nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat. Insofern führt sie in ihrer

      Berufungsbegründung selbst an, (allenfalls) durch eine mittelbare Ausstrahlungswirkung betroffen zu sein. Dies genügt hier jedoch nicht.

      Der von der Beklagten befürchtete Vertrauensschaden bei der Aufdeckung des Sachverhalts durch Dritte stellt nicht nur eine bloß mittelbare, sondern überdies eine lediglich hypothetische Folge dar, die als solche jedenfalls im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien hinter dem Interesse des Insolvenzschuldners an der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zurücktritt. Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind nämlich auch die im Übrigen vom Landgericht genannten Gründe, wie der fehlende Zusammenhang der Straftaten mit der Ausübung der Versicherungsvertretertätigkeit des Insolvenzschuldners sowie die insgesamt rund 14 Jahre währende Zusammenarbeit der Vertragsparteien, während der sich ein Grund zur Beanstandung des beruflichen oder außerberuflichen Verhaltens des Insolvenzschuldners nicht ergeben hat.

      Anders, als von der Beklagten vertreten, hat das Landgericht ebenfalls beanstandungsfrei den rund drei Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkt in seiner Abwägung zugunsten des Insolvenzschuldners gewichtet. Denn dieser markiert das beanstandungswürdige Verhalten des Insolvenzschuldners, der Zeitpunkt seiner Verurteilung liegt außerhalb seines Einflussbereichs. In der seither verstrichenen Zeit sind weitere Straftaten des Insolvenzschuldners nicht bekannt geworden, was die Straffälligkeit nicht als sich wiederholenden Vertrauensbruch erscheinen lässt und ohne Weiteres zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist. Der Insolvenzschuldner mag seine Verurteilung der Beklagten nicht angezeigt haben, eine solche Verpflichtung oblag ihm jedoch auch nicht, zumal die Beklagte ihre Handelsvertreter offenbar turnusmäßig zur Vorlage von Führungszeugnissen auffordert.

      Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung in Bezug genommenen Regelung des § 6 der WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung. Danach hat die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 34d Abs. 1 Satz 1 WpHG in der Regel nicht, wer in den letzten fünf Jahren vor Beginn einer anzeigepflichtigen Tätigkeit u.a. wegen einer Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist. Es fehlt an einer Einschlägigkeit für den hiesigen Sachverhalt. Denn diese Regelung betrifft die Anlagenvermittlung und -beratung und damit einen Bereich, der im Hinblick auf das Gefährdungspotential für das Vermögen der Kunden besonderer Seriosität und Zuverlässigkeit bedarf. Damit ist das Tätigkeitsfeld des Insolvenzschuldners nicht vergleichbar. Dieser war nämlich damit betraut, Versicherungsverträge zu vermitteln, und zwar, in den Bereichen SHUR (Sach-, Haftpflicht-, Unfall-, Rechtschutz), Kfz und Leben.

      In ebenfalls nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht die vermeintlich verzögerte Vorlage des Führungszeugnisses durch den Insolvenzschuldner nicht, und auch nicht in der Gesamtschau, als wichtigen Grund im fraglichen Sinne angesehen. Der Insolvenzschuldner mag der Aufforderung der Beklagten zur Vorlage erst nach einer Erinnerung und damit erst rund zwei Monate nach der ersten Aufforderung nachgekommen sein. Bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist aber, dass im geschäftlichen Verkehr ein- oder zweimalige Mahnungen keine Seltenheit sind. Hinzu kommt, dass der Insolvenzschuldner, wenn dies überhaupt angenommen werden sollte, keine Straftat zu verheimlichen versucht hat, die ihrerseits einen wichtigen Grund im Sinne von § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB darzustellen vermag.

      Das Landgericht hat in weiterhin nicht zu beanstandender Weise einen Billigkeitsabzug von 1/4 vorgenommen.

      Die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs muss gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Billigkeit entsprechen. Ein Ausgleichsanspruch entsteht demnach nicht, wenn er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unbillig wäre. Nach der Wertung der im Einzelfall anwendbaren Billigkeitskriterien sind diese in einer Gesamtschau gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile auf jeder Seite ist zu prüfen, ob die Interessen einer Partei so sehr überwiegen, dass sie eine Erhöhung oder Minderung des rein rechnerisch ermittelten Ausgleichsanspruchs aus sachlichen Gründen erfordern.

      Das Landgericht hat alle relevanten Billigkeitskriterien gewertet und in einer Gesamtschau in beanstandungsfreier Weise gegeneinander abgewogen. Dabei hat es auch den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung herangezogenen Umstand, dass der Insolvenzschuldner schon längere Zeit in gänzlich ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte, in seine Würdigung miteinbezogen.

      Den vom Landgericht auf der Grundlage seiner Würdigung vorgenommenen Abzug von 1/4 erachtet auch der Senat aus den Gründen des angefochtenen Urteils jedenfalls nicht als zu gering. Ein Erlöschen des Ausgleichsanspruchs ist keinesfalls anzunehmen. Eine dahingehende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung zitierten Kommentierung. Denn selbst daraus geht hervor, dass ein Grund, der eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermag, auch „lediglich“ zu einer Minderung des Ausgleichsanspruchs führen kann. Insbesondere zeigt das in der Kommentierung angeführte Beispiel die Unverhältnismäßigkeit eines Erlöschens des Anspruchs im hiesigen Fall auf. Denn angeführt ist als Regelfall ein Sachverhalt, bei dem der Handelsvertreter länger andauernd und dem Unternehmer verheimlichend unzulässigerweise eine Vertriebstätigkeit für einen Wettbewerber ausübt. Eine Vergleichbarkeit mit den hiesigen zur Beurteilung stehenden Kriterien ist nicht ansatzweise gegeben – weder in zeitlicher Hinsicht noch im Hinblick auf die Schwere des Vertrauensverstoßes, wobei hier insbesondere zur Geltung kommt, dass die Beklagte, wie bereits ausgeführt, nicht unmittelbar Geschädigte der von dem Insolvenzschuldner begangenen und mehrere Jahre zurückliegenden Straftat war. Vielmehr dauerte das Vertragsverhältnis, wie vom Landgericht zutreffend berücksichtigt, rund 14 Jahre an, ohne dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Ausübung der Tätigkeit gekommen wäre.

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